Beitrag:

Elektrounfälle vermeiden: Die 5 Sicherheitsregeln

Inhalt

Inhalt

Elektrischer Strom ist aus der heutigen Technik nicht wegzudenken. Er treibt Maschinen an, versorgt Gebäude mit Licht und Wärme und hält komplexe Systeme am Laufen – doch diese Energiequelle birgt ernste Risiken. Jedes Jahr ereignen sich in Deutschland zahlreiche Elektrounfälle, viele davon mit schweren gesundheitlichen Folgen oder sogar mit tödlichem Ausgang. Besonders tragisch: Die Mehrheit dieser Vorfälle wäre durch umsichtiges Verhalten und klare Schutzmaßnahmen vermeidbar gewesen. Hier setzen die sogenannten fünf Sicherheitsregeln an. Sie wurden entwickelt, um den Umgang mit elektrischer Energie zuverlässig abzusichern, insbesondere bei Arbeiten an spannungsführenden Anlagen oder Leitungen. Fest verankert in technischen Regelwerken wie der DIN VDE 0105-100 oder der DGUV Vorschrift 3 sind sie für Fachkräfte verbindlicher Bestandteil jeder Tätigkeit an elektrischen Systemen.

Diese fünf Regeln sind kein theoretisches Konzept, sondern ein praxiserprobtes Handlungsmuster. Sie strukturieren den Arbeitsablauf so, dass Gefahrenpotenziale ausgeschaltet oder stark reduziert werden. Stromschläge, Lichtbögen oder Kurzschlüsse lassen sich dadurch weitgehend verhindern. Dennoch zeigen Auswertungen von Unfallmeldungen, dass Verstöße gegen diese Regeln nach wie vor häufig sind – sei es aus Zeitdruck, Unachtsamkeit oder mangelnder Vorbereitung. Umso wichtiger ist es, die genaue Reihenfolge, den Zweck und die praktische Umsetzung der Sicherheitsregeln zu verstehen. Der folgende Beitrag widmet sich jeder einzelnen Regel im Detail und gibt einen tiefen Einblick in die Hintergründe und Schutzmechanismen dieser systematischen Vorgehensweise.

Gefährdung durch elektrischen Strom

Die Gefahr elektrischer Energie ist besonders tückisch: Sie ist unsichtbar und oft geräuschlos. Was auf den ersten Blick harmlos erscheint, kann innerhalb eines Augenblicks schwere Verletzungen verursachen. Bereits Stromstärken ab etwa 30 Milliampere genügen, um das Herz aus dem Takt zu bringen. Die Hautoberfläche, die Dauer des Stromflusses und der Weg des Stroms durch den Körper spielen dabei eine zentrale Rolle. Der sogenannte Stromweg – etwa von Hand zu Hand oder von Hand zu Fuß – entscheidet darüber, ob lebenswichtige Organe wie das Herz betroffen sind. Zudem können Lichtbögen durch ihre enorme Hitze Verbrennungen und Druckverletzungen hervorrufen, selbst ohne direkten Stromkontakt.

Oft wird übersehen, dass auch Anlagen im Niederspannungsbereich gefährlich sind. Selbst haushaltsübliche 230-Volt-Systeme reichen aus, um gravierende Schäden zu verursachen. Hinzu kommen Unsicherheiten durch versteckte Leitungen, Restladungen in Kondensatoren oder unerkannte Rückspeisungen, zum Beispiel aus Solaranlagen. All diese Aspekte zeigen: Ein kontrollierter, sicherer Ablauf ist unverzichtbar. Die fünf Sicherheitsregeln bieten hierfür eine klare Struktur.

Fakt 1 – Unfallstatistik 2023

Allein 2023 registrierte die BG ETEM 4 492 Stromunfälle, davon 563 melde­pflichtige und 3 tödliche Ereignisse. Diese Zahlen zeigen, dass elektrische Gefährdungen nach wie vor ein relevantes Risiko in deutschen Betrieben darstellen.

Die fünf Sicherheitsregeln im Detail

Freischalten

Der erste Schritt zur sicheren Arbeit lautet: Freischalten. Dabei wird die Stromzufuhr vollständig unterbrochen. Das bedeutet, dass alle spannungsführenden Teile einer Anlage von der Energiequelle getrennt werden müssen. Die Abschaltung erfolgt über geeignete Schaltgeräte, zum Beispiel über Hauptschalter, Sicherungsautomaten oder Trennschalter. Wichtig ist, dass alle potenziellen Einspeisepunkte berücksichtigt werden – auch alternative Quellen wie Batteriepuffer oder Netzersatzanlagen. Ohne diesen Schritt bleibt das Risiko bestehen, mit aktiven Leitungen in Kontakt zu geraten.

Gegen Wiedereinschalten sichern

Nach dem Trennen vom Stromnetz muss verhindert werden, dass jemand die Spannungszufuhr unbeabsichtigt wieder herstellt. Dazu dienen mechanische Sperren, Vorhängeschlösser oder klar erkennbare Warnschilder. Die Sicherung gegen Wiedereinschalten schützt nicht nur die Person, die an der Anlage arbeitet, sondern auch Kolleginnen und Kollegen im Umfeld. Eine deutlich sichtbare Kennzeichnung der Schaltstelle ist ebenso entscheidend wie organisatorische Maßnahmen, die einen Zugriff Unbefugter verhindern.

Spannungsfreiheit feststellen

Bevor eine Anlage als gefahrlos gilt, muss eindeutig geklärt werden, ob tatsächlich keine Spannung mehr anliegt. Dazu ist eine Spannungsprüfung mit einem geeigneten zweipoligen Prüfgerät erforderlich. Die Messung erfolgt an allen aktiven Leitern, und zwar mit einer Prüftechnik, die sich zuvor als funktionsfähig erwiesen hat. Empfehlenswert ist die sogenannte Drei-Punkte-Methode: Vor der Messung wird das Prüfgerät getestet, danach erfolgt die eigentliche Prüfung, anschließend wird das Gerät erneut kontrolliert. So wird ausgeschlossen, dass eine defekte Prüfeinrichtung zu einer falschen Einschätzung führt.

Erden und kurzschließen

In Netzen bestimmter Bauart – zum Beispiel Mittelspannungsanlagen – reicht das bloße Abschalten nicht aus. Dort müssen Leiter zusätzlich geerdet und kurzgeschlossen werden. Durch das Erden wird eine Verbindung zur Erde geschaffen, durch das Kurzschließen wird eine Verbindung zwischen den aktiven Leitern selbst hergestellt. Beide Maßnahmen bewirken, dass eventuell auftretende Restspannungen oder Rückspeisungen ungefährlich abgeleitet werden. Diese Regel ist vor allem in Bereichen relevant, in denen hohe Spannungsniveaus vorkommen und schnelle Reaktionen erforderlich sind.

Abdecken oder Abschranken benachbarter, spannungsführender Teile

Wenn sich in unmittelbarer Nähe der Arbeitsstelle Bauteile befinden, die unter Spannung stehen und nicht abgeschaltet werden können, müssen diese gesichert werden. Dies geschieht entweder durch isolierende Abdeckungen oder durch physische Barrieren. So wird verhindert, dass unbeabsichtigte Berührungen oder Funkenüberschläge einen Unfall auslösen. Besonders in beengten Schaltschränken oder in Industrieanlagen mit laufendem Betrieb ist diese Schutzmaßnahme von hoher Relevanz. Sie stellt sicher, dass die Arbeitsumgebung möglichst risikoarm gestaltet ist – selbst unter erschwerten Bedingungen.

Elektrounfälle

Fakt 2 – Gefährlicher Schwellenwert

Schon 30 mA Körperstrom können bei einer Einwirk­dauer von wenigen Millisekunden (≈ 30–40 ms) Herz­kammerflimmern auslösen – deshalb löst ein Fehler­strom-Schutz­schalter (RCD) mit 30 mA Nennfehlerstrom in exakt diesem Zeit­fenster aus und trennt den Stromkreis, bevor es lebens­gefährlich wird.

Warum klare Abläufe unverzichtbar sind

Nur wer die fünf Schritte vollständig und in der vorgegebenen Reihenfolge durchführt, erreicht ein hohes Maß an Sicherheit. Jede Regel ist für sich genommen wichtig, doch ihre volle Schutzwirkung entfaltet sich erst im Zusammenspiel. Untersuchungen zeigen, dass die meisten Unfälle dort passieren, wo einzelne Regeln ignoriert oder verkürzt wurden. Regelverletzungen entstehen häufig durch mangelnde Aufmerksamkeit, organisatorische Mängel oder unklare Zuständigkeiten. Eine fundierte Unterweisung, klare Freigabeprozesse und dokumentierte Maßnahmen sind daher genauso entscheidend wie das technische Know-how.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist das Verständnis für die reale Gefahrenlage. Wer erkennt, was bei einem Fehler passieren kann, wird sorgfältiger arbeiten. Dieses Bewusstsein kann durch regelmäßige Schulungen, Praxisbeispiele und Sicherheitsunterweisungen gefördert werden. Damit die Regeln nicht zur bloßen Routine verkommen, sondern als fester Bestandteil einer sicherheitsorientierten Arbeitskultur verankert bleiben, braucht es kontinuierliche Erinnerung und Verantwortung auf allen Ebenen.

Fakt 3 – Typische Regelverstöße

Eine Auswertung der BG ETEM zeigt: In 45,7 % der Stromunfälle (2022) wurde Regel 3 „Spannungs­freiheit feststellen“ nicht beachtet; 36,3 % betrafen Verstöße gegen Regel 1 „Freischalten“. Die Missachtung dieser beiden Schritte macht also über 80 % aller dokumentierten Fehler aus.

Fazit

Elektrounfälle sind kein unabwendbares Risiko – sie lassen sich in den allermeisten Fällen vermeiden. Die fünf Sicherheitsregeln bieten eine klare Struktur für ein kontrolliertes und sicheres Vorgehen bei Arbeiten an elektrischen Anlagen. Jede einzelne dieser Regeln erfüllt eine wichtige Schutzfunktion, und nur im Zusammenspiel bilden sie ein wirksames Sicherheitsnetz. Die Einhaltung dieser Regeln schützt Leben – Tag für Tag, in kleinen wie in großen Anlagen, im Industriebereich ebenso wie in der Gebäudetechnik.

Wo mit Strom gearbeitet wird, darf es keine Kompromisse geben. Nicht Technik allein schützt vor Fehlern, sondern das richtige Verhalten im Umgang mit ihr. Die fünf Regeln sind Ausdruck einer professionellen Haltung: vorausschauend, umsichtig und verantwortungsvoll. Wer sie beherrscht und konsequent anwendet, leistet einen unverzichtbaren Beitrag zu einer sicheren Arbeitsumgebung – und schützt nicht nur sich selbst, sondern auch andere.

Weitere interessante Beiträge
Die unsichtbare Schutzmauer: Wie Löschwasserrückhaltung Leben und Umwelt schützt
In Notfällen, bei denen Feuer eine sofortige Bedrohung für Leben und Eigentum darstellt, ist schnelles Handeln erforderlich. Doch was passiert mit dem Löschwasser, nachdem die Flammen besiegt sind? Dies ist
Neue DGUV Information 212-686: Gehörschützer-Kurzinformation für Personen mit Hörminderung
Wie Menschen mit Hörminderung sicheren Gehörschutz finden und nutzen Lärmbelastung am Arbeitsplatz kann zu schweren Gehörschäden führen – doch was ist, wenn das Gehör bereits beeinträchtigt ist? Die neue DGUV
Nachhaltigkeit trifft auf Arbeitssicherheit: Ein essentieller Leitfaden für moderne Unternehmen
In der heutigen Geschäftswelt gewinnen Nachhaltigkeit und Arbeitssicherheit zunehmend an Bedeutung. Beide Bereiche sind nicht nur für den Schutz der Umwelt und der Mitarbeiter wichtig, sondern auch für den langfristigen
Höhenrettung und Arbeitssicherheit: Gesetzliche Grundlagen und Herausforderungen für Unternehmen
Arbeiten in der Höhe zählen zu den gefährlichsten Tätigkeiten im beruflichen Umfeld. Ob auf Windkraftanlagen, Funkmasten oder Hochregallagern – die Risiken sind enorm, und die Anforderungen an Sicherheit und Rettungskonzepte
Ab wann braucht man eine Gefährdungsbeurteilung? Ein entscheidender Schritt für die Sicherheit am Arbeitsplatz
Die Sicherheit am Arbeitsplatz ist ein zentrales Anliegen für Unternehmen aller Größen und Branchen. Eine der grundlegendsten und wirkungsvollsten Maßnahmen, um diese Sicherheit zu gewährleisten, ist die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung.
Unterstützung bei der Einführung eines Managementsystems nach DIN EN ISO 50001
Die Einführung eines Managementsystems nach DIN EN ISO 50001 bietet Unternehmen die Möglichkeit, ihre Energieeffizienz systematisch zu verbessern, Kosten zu senken und ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Diese Norm legt
Sind Sie neugierig geworden?
Dann lassen Sie uns sprechen!

Wir können Sie unterstützen?

Dann lassen Sie uns starten!

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner